3 Flut
Wasser, das Lebenselixier der Erde, kann für Kulturgut in Museen, Archiven und Bibliotheken zur ernstzunehmenden Bedrohung werden. Ursachen können technische Havarien, Folgen extremer Witterungslagen und daraus resultierende Hochwasserereignisse mit Überflutungsgebieten sowie lokale Starkregenereignisse sein (siehe auch Kapitel Havarien/Unfälle und Unwetter). Das Kulturgut kann durch Oberflächenwasser, rückstauendes Kanalwasser oder aufsteigendes/drückendes Grundwasser gefährdet sein. Zum einen sind in Kellern gelagerte Kulturgüter direkt gefährdet, zum anderen bedrohen Überschwemmungen im Keller die häufig dort installierten technischen Versorgungsanlagen wie Elektrik, Heizung und Telekommunikation und können zu deren Ausfall führen. Damit ist ein indirektes Risiko für Objekte in nicht unmittelbar von Hochwasser betroffenen Bereichen des Gebäudes verbunden. Selbst statisch relevante Schäden, die im Maximalfall die Stabilität des Gebäudes gefährden können, sind nicht auszuschließen und stellen weitere – teils schwere – Bedrohungen dar.
Ursachen für Flutereignisse
In den letzten Jahrzehnten ist in Europa ein verstärktes Auftreten von Hochwasserereignissen, oft ausgelöst durch ungewöhnliche Wetterlagen mit Starkregen, zu verzeichnen (Rhein-Hochwasser 1993, Oder-Flut 1997, Hochwasser der Elbe und ihrer Zuflüsse 2002, Rhône-Hochwasser in Südfrankreich 2003, Elbe-Hochwasser 2013, Hochwasser in Passau 2013, Acqua alta in Venedig 2019, Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen 2021).
Liste von Hochwasserereignissen
Liste von Sturmfluten an der Nordsee
Am häufigsten werden Gebäude durch das Anschwellen großer Flüsse überflutet, meist verursacht durch Starkregen oder schnelle Schneeschmelze. So sind Frühjahrshochwasser im Zusammenhang mit der Schneeschmelze bei schnell steigenden Temperaturen regelmäßig zu erwarten. Beim Anschwellen großer Flüsse ist die oft lange Vorwarnzeit und die Berechenbarkeit von zu erwartenden Pegelständen von Vorteil. Diese Vorwarnzeit kann zur Einleitung von Schutzmaßnahmen genutzt werden (Dämme, Schotts, Ver-/Auslagerungen), um Schäden durch Oberflächenwasser, rückstauendes Abwasser aus der Kanalisation und aufsteigendes Grundwasser zu verhindern oder zu minimieren.
Aber auch kleinere Fließgewässer können zu einer Bedrohung werden, wenn diese durch zu große Wassermengen über die Ufer treten. Dies gilt besonders für kleine Flüsse in Gebirgsnähe durch den Abfluss von Regenwasser aus Gebirgen in Richtung größerer Flüsse oder Seen. Ein solches Ereignis hat z.B. im Sommer 2021 im Ahrtal innerhalb kurzer Zeit zu gravierenden Überflutungen geführt. Problematisch kann die fehlende Vorwarnzeit sein, wenn die Wassermengen schnell wachsen und durch ein natürliches Gefälle zusätzlich hohe Fließgeschwindigkeiten erreicht werden. Es bleibt kaum Zeit für eine Alarmierung von Personen (zum Beispiel durch Sirenen) oder für Schutzmaßnahmen für Gebäude und Sachwerte. So liegen gebäudetechnische Planungen zur Reaktion auf ein 100-jährigen Hochwassers großer Flüsse oft vor, nicht jedoch Konzepte für Bedrohungen durch kleine Fließgewässer. Gefahren sind in diesen Fällen wiederum Oberflächenwasser, rückstauendes Kanalwasser und aufsteigendes Grundwasser.
Aber auch Gebäude in Senken können bei Starkregen überflutet werden. Beispielsweise gerieten in Dresden das Landesamt für Archäologie, die Sammlung Senckenberg und das Museum für Völkerkunde im Jahr 2018 in Gefahr, als bei einem lokalen und zeitlich stark begrenzten Starkregenereignis in Dresden-Klotzsche das Regenwasser in eine Senke lief, in der sich das Gebäude befindet. Außerdem trat Abwasser aus der Kanalisation aus. Eine Bergung des Sammlungsguts war erforderlich, da Wasser in das Erdgeschoss eintrat.
Weltweit nehmen Museen, Archive und Bibliotheken das Schadensereignis Hochwasser zunehmend als ernste Bedrohung wahr. So enthalten die anerkannten Standard Facilities Reports aus den USA und Europa Fragen zu Hochwasserthemen, um im Vorfeld die Sicherheit von Leihgaben oder Wanderausstellungen zu klären. Aber auch die Kunstversicherer prüfen vor dem Angebot einer Police denkbare Gefährdungen durch Hochwasserereignisse.
Schutzmaßnahmen
Im Sinne einer Risikoanalyse sollte geprüft werden, ob eine Gefährdung bestimmter Bereiche des eigenen Gebäudes durch Hochwasser gegeben ist. Wenn ja, sollte keinerlei Kulturgut in eventuell betroffenen Bereichen, vor allem Keller und Erdgeschoss, gelagert werden. Dies betrifft zum Beispiel Ausstellungen, Depots, Verpackungsräume, Werkstätten oder Archive. Technische Einrichtungen in tiefgelegenen Bereichen des Gebäudes sind ebenfalls zu schützen. Für baulich-technische und organisatorische Maßnahmen zur Vermeidung oder Eingrenzung von Gefahren sollte ein spezielles Konzept erstellt werden. Handlungen zur Umsetzung dieser baulich-technischen und organisatorischen Regelungen sollten in einem Hochwassermanagementplan zusammengefasst werden.
Hochwassermanagementplan
Mit einer Vorwarnzeit ist es möglich, rechtzeitig ausgewählte Maßnahmen zum Schutz vor Hochwasser zu ergreifen. Dies dient nicht nur dem Kulturgutschutz (sofern das Kulturgut direkt in Bereichen mit Überflutungsgefahr lagert), sondern auch der Aufrechterhaltung des technischen Gebäudebetriebs und der Reduzierung von baulichen Schäden.
Die zu ergreifenden Maßnahmen sollten in einem Hochwassermanagementplan zusammengefasst sein und zu leicht nachvollziehbaren Abläufen aufbereitet werden. Dabei sind zwei Fragestellungen zu berücksichtigen: 1) Woher können Informationen über zu erwartende Wasserstände bezogen werden? 2) Welche konkreten Gefährdungen und Handlungen resultieren aus diesen Prognosen für das/die Gebäude und das Sammlungsgut? Durch dieses präventive gedankliche Durchspielen gefährlicher Situationen wird die Handlungsfähigkeit im Ernstfall erhöht, da das Handeln nach einem Leitfaden in dem mit Stress, Hektik und Adrenalin verbundenen Ernstfall weniger Entscheidungsprozesse und die Abstimmung derselben bedeutet. Sinnvollerweise enthält der Hochwassermanagementplan auch eine Liste mit Kontakten zu hilfeleistenden Stellen (Feuerwehr, Notfallverbünde, Technisches Hilfswerk, Speditionen, Lagerhäuser, befreundete Institutionen).
Wichtige Partner in der Beantwortung von Fragen zu einer möglichen Bedrohung des eigenen Kulturguts durch Wasser sind die Wasser- oder Umweltbehörden, möglicherweise bereits installierte zentrale Hochwasserlagezentren, die Bauaufsichtsbehörden und die örtliche Feuerwehr.
Einrichtungen mit ähnlichen Bedrohungsszenarien, wie Museen, Archive und Bibliotheken, sollten einen lokalen Notfallverbund gründen. Die Mitglieder dieses Notfallverbunds können im Schadensfall zusammenwirken und damit personelle Ressourcen und Kompetenzen sowie Notfallausrüstung bündeln (z.B. Notfallzug Kulturgutschutz). Aber auch der Wissensaustausch innerhalb des Verbunds, unabhängig vom Schadensfall, ist ein wichtiger Vorteil, um vorhandenes Know-how effektiv zu nutzen.
Schutz vor Oberflächenwasser
Bei über die Ufer tretenden Flüssen ist das Oberflächenwasser die vorrangige Bedrohung für Gebäude und Sachwerte. In Abhängigkeit von der Vorwarnzeit ist es möglich, die eigene Liegenschaft mittels Dämmen aus Sandsäcken oder schnell zu installierenden mobilen Schotts zu schützen. Die Kosten für mobile Verbausysteme (oft aus Aluminium) sind überschaubar. Wichtig ist das regelmäßige Training der Montage und eine Wartung der Dichtungen. Das Gebäude sollte im Vorfeld von Ereignissen auf die Dichtheit von Gebäudeöffnungen wie Rohrdurchführungen von Energieversorgern und Telekommunikationseinrichtungen geprüft werden. Auch Türen und Fenster können mit einem hohen Widerstand gegen von außen eindringendes Wasser ausgestattet werden. Viele hochwassergefährdete Kommunen und Städte halten Verbausysteme vor, die im Bedarfsfall installiert werden (z.B. Köln, Dresden, Prag). Eine Abstimmung mit der Kommune über Art und Zeitpunkt des Einsatzes dieser Schutzmaßnahmen ist zu empfehlen.
Die Landesregierungen sind zuständig für Talsperren und Rückhaltebecken; diese sind entscheidende Schutzeinrichtungen für kleinere Flüsse. Zunehmend ist dabei allerdings der Interessenkonflikt zwischen Schutzfunktion der Einrichtung im Sinne eines abgesenkten Wasserstands und der touristischen Nutzung der Anlagen zu bemerken. Eine Abstimmung mit der Landestalsperrenverwaltung und der Wasserbehörde über Betrieb und Pegelstände der Rückhalteeinrichtungen ist sinnvoll. Zu beachten ist, dass die Vorwarnzeit für Hochwasserereignisse von kleineren Flüssen oft deutlich kürzer ist als die von größeren Flüssen, was das Zeitfenster für präventive Maßnahmen unter Umständen deutlich reduziert.
Bei Regen ist zu beachten, dass Dachrinnen überlaufen können. Dies führt zu einem Ablaufen des Wassers an den Fassaden und eventuell zu einem Austritt des Regenwassers aus den Regenfallrohren. Dadurch kann Wasser über Gebäudeöffnungen wie Fenster und Türen oder Undichtigkeiten in der Fassade, insbesondere an Dachüberständen, Balkonen, Erkern etc., ins Gebäudeinnere gelangen. Wenn die Fallrohre innen im Gebäude verlegt sind, kann es durch Undichtigkeiten zu Gebäudeschäden kommen. Deshalb müssen diese Regenrohre nicht nur gesteckt, sondern mit Blick auf die zu erwartende Wassersäule druckdicht ausgelegt werden.
Schutz vor rückstauendem Kanalwasser
Bei großen Mengen von Oberflächenwasser und in Abhängigkeit von der Lage des Gebäudes besteht die Gefahr des Rückstaus von Abwasser aus der Kanalisation. Als einziger Schutz ist lediglich eine Absperrung des Kanalsystems mit allen Konsequenzen denkbar. Dazu müssen im Bereich der Einbindung des hauseigenen Abwassersystems in den Sammler Rückschlagklappen oder Absperrelemente eingebaut werden, die im Gefahrenfall einen Rückstau des Kanalwassers verhindern. Es ist sinnvoll, diese Absperreinrichtungen doppelt auszuführen, da die Funktion der Elemente durch Verunreinigungen oder mechanische Blockaden (z.B. durch Steine) gefährdet sein kann. Zu beachten ist, dass mit einem Verschluss des Abwassersystems sofort gravierende technische Probleme im Gebäude auftreten. So ist die Nutzung der WC-Anlagen nicht mehr möglich und diese müssen sofort gesperrt und durch mobile WC-Systeme ersetzt werden. Auch Klimaanlagen mit Befeuchtungssektionen (Sprühkammer, Dampfbefeuchter) müssen sofort außer Betrieb genommen werden, da diese Anlagen in das Abwassersystem einspeisen.
Schutz vor aufsteigendem Grundwasser
Im Zusammenhang mit Starkregen und Oberflächenwasser, aber auch bei einem hohen Pegel großer Flüsse ist ein steigender Grundwasserstand zu erwarten. Dies kann zu unterschiedlichen Bedrohungen führen. Es gibt Gebäude, die mit einer „weißen Wanne“ ausgestattet sind. Dabei wird die Bodenplatte des Gebäudes wasserdicht ausgeführt, um ein Eindringen von aufsteigendem Grundwasser zu vermeiden. Es bildet sich jedoch ein starker Druck des Grundwassers gegen diese dichte Bodenplatte, der eine statische Bedrohung bedeuten kann (Bersten oder Anheben der Bodenplatte). Bei Gebäuden mit weißer Wanne sollten deshalb die kritischen Grundwasserpegel bekannt sein. Diese Pegelwerte sind von Architekten oder von Statikern zu erhalten. Gegebenenfalls kann auch die örtliche Bauaufsichtsbehörde Auskunft geben. Im Bedrohungsfall kann das Senken des Grundwasserpegels durch Hochwasserentlastungsbrunnen für Abhilfe sorgen. So sind im Dresdner Stadtzentrum 15 Hochwasserentlastungsbrunnen installiert, die für einen lokalen Trichter des Grundwassers sorgen und somit die Bedrohung für einige der kulturhistorisch wertvollen Gebäude senken. Voraussetzung für den Betrieb der Brunnen ist eine Abstimmung mit der Wasserbehörde und die sichere Verfügbarkeit von Elektrizität. Aber auch eine definierte Auflast auf die gefährdete Bodenplatte durch Sandsäcke, durch andere schwere Materialien oder sogar durch (sauberes) Wasser kann Gebäudeschäden verhindern.
Bei Gebäuden ohne „weiße Wanne“ ist ein Einsickern des Grundwassers in die Bodenplatte und weiter in den unteren Teil der Wände nicht auszuschließen. Die Wassermengen sind jedoch durch den hohen Widerstand der Gebäudehülle meist begrenzt und können lokal abgeführt werden. In diesem Fall ist die Planung von Pumpensümpfen (siehe unten) oder Kanalsystemen zur Aufnahme des Sickerwassers sinnvoll, um ein Entfernen des Wassers aus dem Gebäude zu vereinfachen.
Netzersatzanlagen und Anlagen zur Beseitigung von Wasser aus dem Gebäude
Ein Konzept zur Beseitigung von Wasser aus dem Gebäude zu erstellen ist in jedem Fall zu empfehlen. Nicht nur durch Leckagen von Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser, sondern auch durch Havarien an technischen Anlagen kann es zu einem Eindringen von Wasser vor allem in Kellerbereiche kommen. Eine Planung von Pumpensümpfen oder eines Kanalsystems vereinfacht das Entfernen eventuell eingetretenen Wassers, da die Pumpensysteme oft eine wirksame Wasserhöhe von 2 cm benötigen. Ein Pumpensumpf ist eine Vertiefung (eine kleine Grube, ein Loch), gewöhnlich in einer Ecke des Kellers, in der dann die Pumpe das Wasser aufnehmen kann. Sinnvoll ist ein vorheriges Konzept zur Verlegung von Schläuchen und Elektroanschlüssen für die Standorte der Pumpen. Auch die Planung einer definierten Gebäudeöffnung für die Verlegung der Schläuche zur Abfuhr des Wassers ist sinnvoll (Kellerfenster, Tür). Dabei ist der Schutz gegen eventuell vorhandenes Oberflächenwasser zu beachten. Die Pumpen, Schläuche und Elektrokabel sollten im Vorfeld geplant, beschafft und nummeriert werden. Dies vereinfacht die Reaktion im Bedarfsfall. Zu beachten ist die sichere Verfügbarkeit von Elektrizität, da in einem Schadensfall sowohl die eigene Elektroanlage als auch die Versorgung des Energieversorgers gestört sein kann. Es empfiehlt sich, eine unabhängige Netzersatzanlage (Notstromanlage) vorzuhalten, die im Notfall die Versorgung der Pumpen sichern kann.