11 Schadstoffe
Die negativen Auswirkungen luftgetragener Schadstoffe und Verbindungen aus Bau- und Konstruktionsmaterialien auf Kulturgut werden – nach anfänglichen Verzögerungen – inzwischen detaillierter betrachtet. Noch sind präzise Ursache-Wirkungs-Mechanismen jedoch nur in Teilen erforscht. Bereits bekannt ist, dass Sammlungen und Bestände von einer Vielzahl an Schadstoffen verändert, angegriffen und abgebaut werden können. Zudem werden die Reaktionen von weiteren Parametern wie Temperatur, Luftfeuchte und Licht- bzw. UV-Strahlung begünstigt. In den meisten Fällen liegen Wechselwirkungen zwischen Schadstoffen und weiteren Umgebungsparametern vor. Aus diesem Grund sind adäquate Lichtbedingungen und eine objektgerechte Klimatisierung ebenso erforderlich wie eine Kontrolle der Luftqualität durch Untersuchung der eingesetzten Verpackungs- und Konstruktionsmaterialien. Zusammen können diese Maßnahmen eine Schadstoffbelastung in Museen, Sammlungen und Archiven reduzieren und dem langfristigen Verlust von Kulturgut entgegenwirken.
Warum sind Schadstoffe in Sammlungseinrichtungen ein Problem?
Seit vielen Jahren wird in Deutschland über die Qualität der Raumluft in Büro- und Wohnräumen diskutiert. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich zum Schutz ihrer Gesundheit auf bestimmte Grenzwerte berufen und im privaten Wohnbereich besteht die Möglichkeit, auf emissionsarme Baumaterialien und Einrichtungsgegenstände zurückzugreifen.
Nur wenigen Menschen dürfte hingegen bewusst sein, dass sowohl die emissionsbelastete Außenluft als auch flüchtige Verbindungen im Innenraum eine hohe Belastung für Sammlungen und Archivbestände darstellen. Als Quelle sind Bau- und Konstruktionsmaterialien sowie Dichtmassen, Klebstoffe und Beschichtungen (u.a. Farbe und Lacke) zu nennen, die für die Gestaltung von Ausstellungen und Vitrinen oder die Kulturgutlagerung in Depots und Magazinen eingesetzt werden. Letztlich kann auch das Sammlungsgut selbst die Luftqualität negativ beeinflussen, sofern organische Materialien (z.B. Wolle, Felle) oder Vorbehandlungen mit Bioziden (z.B. Holzschutzmittel) vorliegen.
Abb. 1: Emissionen der Industrie | Abb. 2: Fingerabdrücke auf staubiger Objektoberfläche |
Zusätzlich stellen Stäube und deren Bestandteile (Sporen, Haare und Feinpartikel) eine Belastung der Luftqualität dar. Aus all diesen Gründen sollte die Vermeidung von Schadstoffen und die Kontrolle der Innenraumluft zu den grundlegenden Aufgaben in Museen, Archiven, Bibliotheken und Sammlungen zählen.
Warum sind auch Umweltbelastungen für den Kulturgutschutz von Relevanz?
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich die Luftqualität, insbesondere in urbanen Siedlungsräumen, deutlich verbessert. So konnten die durch Verbrennungsprozesse entstehenden Schwefel- und Stickstoffdioxidanteile sowie die Ozon- und Schwefelwasserstoffbelastung stark reduziert werden. Insbesondere Kupferlegierungen (Bronzen) reagieren jedoch – neben Blei und Silber – äußerst sensibel auf Umweltbelastungen und korrodieren bereits bei niedrigen Konzentrationen. Diese Reaktionen verstärken sich in Wechselwirkung mit stark schwankenden Temperaturen und hohem Feuchtigkeitseintrag – wie in den mitteleuropäischen Klimazonen vorliegend. Weiterhin werden kalkhaltige Verbindungen (Kalk- und Sandstein, Marmor) von den Bestandteilen der Außenluft angegriffen. Daher ist besonders frei bewittertes Kulturgut, wie Denkmale, Brunnen und Zaunanlagen aus Metall sowie Steinskulpturen und Fassaden, durch den Kontakt mit Schwefel- und Stickstoffbestandteilen der Luft stark gefährdet. Leider sind die Möglichkeiten, dieser Gefährdung durch präventive Maßnahmen zu begegnen, äußert gering und beschränken sich auf regelmäßige Reinigung und/oder Beschichtung der Oberflächen sowie insbesondere ein umfassendes Monitoring.
Systematik und Begrifflichkeiten
Der sehr allgemeine Begriff „Schadstoffe“ bezieht sich im Kulturgutschutz auf eine Vielzahl gasförmiger, zumeist organischer Verbindungen. Hierbei wird zwischen Außenluftschadstoffen, d.h. Umweltbelastungen aus Verbrennungsprozessen, sowie Innenraum- oder Materialschadstoffen unterschieden. In Museen, Bibliotheken und Archiven ist die Innenraumbelastung auf Bau- und Konstruktionsmaterialien zurückzuführen. In den Depots und Magazinen tragen zudem Lagermedien und Verpackungen zur Emissionslast bei.
Die Klassifizierung von Schadstoffen erfolgt auf Basis der Siedepunkte der Verbindungen bzw. deren spezifischem Flüchtigkeitsverhalten. Hieraus resultiert folgende Systematik:
- VOC: volatile organic compounds/flüchtige organische Verbindungen
- VVOC: very volatile organic compounds/schnellflüchtige organische Verbindungen
- SVOC: semi volatile organic compounds/schwerflüchtige organische Verbindungen
Stäube werden je nach Zusammensetzung und Partikelgröße in kleine (0,01 bis 15–20 Mikron) bzw. größere Staubpartikel (15–20 Mikron) klassifiziert.
Eintrag und Ursachen einer Schadstoffbelastung
Der Eintrag von Umweltbelastungen wie Ozon, Stickstoffdioxid oder Schwefeldioxid erfolgt über die Gebäudeöffnungen (Türen, Fenster) und Lüftungsanlagen. Ein zusätzlicher Eintrag ist durch Fugen zu verzeichnen. Entsprechend steigt die Schadstoffkonzentration in Innenräumen, sofern keine Reinigung durch Filter oder ein regelmäßiger Luftwechsel erfolgen.
Die hauptsächliche Belastung von Innenräumen ist jedoch den aus Gebäude- und Konstruktionsmaterialien (Wände, Decken, Böden) austretenden flüchtigen organischen Verbindungen zuzuschreiben. Zu den schadstoffabgebenden Werkstoffen zählen Beton und Holz, insbesondere jedoch lösemittel- und säurehaltige Dämm- und Dichtstoffe, Klebemittel und Farbaufträge. Im Ausstellungsbereich handelt es sich zumeist um Werkstoffe, die zur Gestaltung von Ausstellungen und Vitrinen verwendet werden, d.h. Holz oder holzschliffhaltige Werkstoffe, die Form-/Aldehyde und organische Säuren (Essig-/Ameisensäure) abgeben. Schwefelverbindungen stammen oftmals aus den Dicht- und Klebstoffen.
Hingegen ist die Ursache für hohe Schadstoffkonzentrationen in Depots und Magazinen der Vielzahl – zumeist älterer – Lagermedien und Verpackungen geschuldet. Diese bestehen ebenfalls oft aus Holz oder basieren auf Kunststoffen, die auch nach Jahrzehnten noch säurehaltige Verbindungen oder Lösemittel emittieren.
Oftmals gibt das Sammlungsgut selbst Verbindungen ab und trägt somit zur Anreicherung der Schadstoffkonzentration bei, speziell in Depots und Magazinen, aber auch in Ausstellungen. Hierbei handelt es sich zum einen um Objekte mit organischer Zusammensetzung (cellulose- oder proteinhaltig), die sich unter Abgabe zumeist schwefelhaltiger Verbindungen langfristig abbauen. Des Weiteren weisen zahlreiche naturkundliche und ethnografische Sammlungen eine hohe Belastung an Bioziden, Pestiziden und/oder Lösemitteln auf. Diese wurden seit Anfang des 19. Jahrhunderts und bis weit in die 1980er Jahre hinein zur Vorbeugung und Behandlung biologischer Befälle (Insekten, Mikroorganismen) breit eingesetzt. Die verwendeten Substanzen werden aufgrund langer Retentionszeiten jahrzehntelang von den Objekten abgegeben und führen durch die pure Masse insbesondere in kleinräumigen Volumina (Schränke, Umverpackungen) zu hohen und gefährlichen Schadkonzentrationen.
Wechselwirkungen und Zustandsbilder
Das Risikopotenzial flüchtiger organischer Verbindungen erhöht sich durch Interaktion. So ist die Wirkung von Schadstoffen auf Sammlungsobjekte stark von der Art und Anzahl vorhandener Verbindungen, deren Konzentration und letztlich der Expositionsdauer abhängig. Zusätzlich beschleunigen hohe Temperaturen und Luftfeuchtigkeiten, übermäßige Lichtdosen und UV-Werte den Ablauf chemischer Reaktionen. Und nach wie vor sind weder das Zusammenspiel aus Substanz – Konzentration – Objektmaterial noch die Wechselwirkungen mit den genannten Umgebungsparametern präzise erforscht.
Weitaus besser bekannt sind die aus dem Kontakt mit Schadstoffen resultierenden Veränderungen und Schädigungen an Objekten. Vor allem Formaldehyd, Essig- und Ameisensäure sowie schwefelhaltige Verbindungen hinterlassen teils sehr signifikante Merkmale und Zustandsbilder an den Objektmaterialien:
- Ablagerungen oder Kristallisation (Korrosion, Salze)
- Farbänderungen (Verfärbungen, Flecken)
- Klebrigkeit oder Pulverisierung (Auflösung der Oberflächen oder Materialstruktur)
- Schrumpfung oder Schwund (struktureller Komplettabbau)
Einfluss von organischen Säuren
Die durch organische Säuren, wie Essig- und Ameisensäure, verursachten Veränderungen an Sammlungen und Beständen zeichnen sich durch pulvrige oder kristalline Strukturen aus. So führen organische Säuren an kalkhaltigen Werkstoffen (Kalkstein, Marmor oder Terrakotta) zu nadelförmigen Kristallen, die aufgrund ihrer starken Volumenzunahme gesamte Objektoberflächen anheben oder großflächig absprengen können.
Ein weiteres und sehr spezifisches Phänomen an kalkhaltigen Objekten ist der bynesianische Zerfall – in der Literatur auch unter Byne’s disease bekannt. Dieser liegt hauptsächlich an naturkundlichen Sammlungen vor und zeigt sich an Beständen aus Muschel- und Eierschalen. Auch Ethnografika aus ähnlicher Materialität (Muschelgewänder, Kopfschmuck, Ketten etc.) können bynesianische Ausblühungen entwickeln. Die Ursache dieser Zustandsveränderung liegt in der spezifischen Lagerung dieser Bestände: Zahlreiche naturkundliche wie auch ethnografische Sammlungen werden nach wie vor in Kabinettschränken aus Holz (Eiche) sowie in großen Mengen auf sehr geringem Raum gelagert. In dieser Verdichtung konzentrieren sich hohe Dosen organischer Verbindungen, zumeist Essigsäure oder zu Ameisensäure oxidierte Formaldehyde, auf. Zusammen mit Feuchtigkeit reagieren diese mit dem Calciumcarbonat der Muscheln und Schalen unter Bildung entsprechender Salze (Calciumacetat und -formiat), werden zunächst als Trübung, im fortgeschrittenen Stadium dann als weiße, pulvrige Auflagerungen an den Objekten sichtbar.
Abb. 3: Beginnender bynesianischer Zerfall an Muscheln | Abb. 4: Weiße Auflagerungen in den Zwischenräumen eines Schneckengehäuses |
Neben kalkhaltigen Materialien treten organische Säuren auch mit Metallen in Reaktion, besonders anfällig sind Blei, Zink und Kupferlegierungen. Auch hier kommt es zu weißen, pulvrigen Auflagerungen und Korrosionserscheinungen, die durch in Lagermedien, Ausstellungsarchitektur und Vitrinen verwendete und organische Säuren emittierende Holzwerkstoffe induziert werden.
Weiterhin sind Archivalien, technisch-industrielle Bestände und zeitgenössische Kunstsammlungen, u.a. auf Basis von Cellulose und ihrer Derivate Cellulosenitrat und -acetat, durch organische Säuren gefährdet. Filmmaterial aus Cellulosenitrat (CN) unterliegt selbst bei guten Lagerungsbedingungen steten Abbauprozessen. Hierbei werden Stickstoffverbindungen (NOx) abgegeben, die insbesondere in geschlossenen Filmdosen schnell eine hohe Konzentration erreichen und den Zerfall des Filmmaterials signifikant beschleunigen. Hierbei geht dessen Form und Flexibilität verloren und es entstehen klebrige Oberflächen, die im Endstadium zu einer komplett verklebten Filmrolle führen. Ähnliche Reaktionen zeigen fotografische Negative und Filmmaterial auf Basis von Celluloseacetat (CA). Auch diese degradieren sukzessive unter Abgabe flüchtiger organischer Verbindungen (Essigsäure). Bei unsachgemäßer bzw. ausbleibender Belüftung von Räumen, Lagermedien und Verpackungen werden sehr hohe Säurekonzentrationen in (Film-)Archiven erreicht, die zur autokatalytischen Zersetzung der Bestände führen. Der Prozess wird von einem charakteristischen Säuregeruch begleitet, sodass der Prozess als Essigsäure-Syndrom (vinegar syndrome) bekannt ist. Die resultierenden Zustände sind divers und reichen von blasenartigen Strukturen über Röhrenbildung bis zu Versprödungen und Schrumpfungen der gesamten Oberflächen. Beide Reaktionsabläufe, sowohl an Cellulosenitrat als auch an -actetat, starten bereits bei Temperaturen ab 4 °C und werden ab einer relativen Luftfeuchtigkeit > 30 % beschleunigt.
Einfluss von schwefelhaltigen Verbindungen
Neben organischen Säuren nehmen schwefelhaltige Verbindungen, häufig durch (Bau-)Materialien oder von Woll- und Lederobjekten selbst emittiert, negativen Einfluss auf den Erhaltungszustand von Sammlungsgut. So reagiert insbesondere Schwefelwasserstoff zu Schwefelsulfid, einer Verbindung, die Silberobjekte braun bis schwarz verfärbt. Des Weiteren führen Schwefelverbindungen zur Schwärzung bleihaltiger Pigmente an Gemälden oder zu schwarzen Flecken an Kupferlegierungen (Bronze, Messing). Gleichermaßen werden Silberbestandteile in Fotografien beeinträchtigt, sodass Bildinformationen an Kontrast verlieren bzw. sich eine braune Tönung entwickelt. Letztlich nehmen sulfidische Verbindungen auch Einfluss auf organische Materialien, z.B. fördern sie den sogenannten Roten Zerfall an Leder, ein Zustandsbild am Leder, bei dem sich die stabile Narbenschicht pulverisiert und stark orange einfärbt.
Abb. 5: Durch Silbersulfide beeinträchtigte Metallexponate | Abb. 6: Roter Zerfall an einem Möbelstück mit Lederbezug |
Einfluss von Stäuben
Die Auswirkungen von Stäuben sind von der Größe der Partikel abhängig. Kleine Korngrößen werden durch Adhäsion (Anhaften) an den Oberflächen von beispielsweise Papier oder Wachsobjekten gebunden und bilden hierbei schmutztragende Schichten. Größere Partikel lagern sich auf allen Objektgattungen ab und können zu harten Staubkonglomeraten führen. Staubschichten sind hygroskopisch, d.h. sie nehmen Feuchtigkeit auf. Gleichzeitig binden sie flüchtige Verbindungen, sodass weiterführende Reaktionen (Korrosion, Salzbildung) katalysiert werden. Da Stäube zudem organische Bestandteile wie Sporen, Pollen, Haut- und Haarpartikel enthalten, die wiederum die Nahrungsgrundlage vieler Insekten bilden, begünstigt eine starke Verstaubung von Objektoberflächen den biologischen Befall samt Folgeerscheinungen, wie Fraß- und Siedlungsspuren (siehe Kapitel Schädlinge).
Messung von Schadstoffen
Schadstoffe lassen sich entweder als flüchtige Verbindung in der Raumluft oder als Bestandteil von Werkstoffen und Materialien nachweisen. In beiden Fällen erfolgen die Untersuchungen durch instrumentelle Analytik in Kombination mit aktiver oder passiver Probenahme. Entsprechend ist für die meisten Verfahren eine technische (Labor-)Ausstattung sowie umfangreiches Fachwissen zur Auswertung der Messdaten erforderlich. Alternativ können beschleunigte Alterungs- und Korrosionstests sowie semi-qualitative Nachweise (Spottests) durchgeführt werden. Beide lassen jedoch – im Gegensatz zur Laboranalytik – keine Aussage über Quantitäten zu.
Die zur Abbildung von Schadstoffbelastungen verwendeten Maßeinheiten hängen von der Menge und dem Aggregatzustand der Verbindung ab. Hohe Konzentrationen werden in Volumenprozent (Vol.-%) angegeben, wohingegen sehr geringe Mengen in den Einheiten ppm/ppb (Teile pro Million/Milliarde) dargestellt werden. Ein ppm entspricht 1 µg/g oder einem Teil (Schadstoff) in einer Million Teile Luft. Handelt es sich um flüssige oder feste Substanzen, werden diese in Masse/Volumen (μg/m³) angegeben.
Aktive Schadstoffmessungen
Aktive Schadstoffmessungen erfolgen unter definierten Bedingungen. Hierbei wird mit einer Pumpe (manuell, elektronisch) eine festgelegte Luftmenge über das Sammelmedium (Adsorbens, Reagenz) eines Probenröhrchens eingesaugt. Dieses wird im Labor mittels Gas- oder Flüssigchromatografie und gekoppelter Massenspektroskopie qualitativ-quantitativ ausgewertet. Entsprechend liefern aktive Messungen ein sehr genaues Bild über Art und Ausmaß einer Belastung durch Schadstoffe. Bekannte Aktivsammler sind zum Beispiel Dräger-Röhrchen.
Passive Schadstoffmessungen
Hingegen werden bei der passiven Messung von Schadstoffen kaum quantitative Ergebnisse ermittelt. Dennoch kommen passive Probensammler aufgrund ihrer unkomplizierten Handhabung häufig zum Einsatz. Im Zuge der Messungen werden die Sammelmedien im Raum, in der Vitrine oder in der Verpackung über einen längeren Zeitraum (2 bis 4 Wochen) ausgesetzt. Im Gegensatz zur aktiven Messung erfolgt die Aufnahme der Schadstoffe an der Sorptionsschicht durch Diffusion. Anschließend wird der Probensammler ebenfalls im Labor messtechnisch ausgewertet. Alternativ liegen auf spezifische Verbindungen ausgerichtete Probensammler vor, die durch einen Farbumschlag und anhand von Skalen die vorliegenden Verbindungen anzeigen. Zu den passiven Sammelmedien zählen Tenax-Diffusionssammler oder Dosimeterplaketten.
Weitere passive Probensammler sind Glassensoren, die vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung Wertheim/Bronnbach (ISC) entwickelt wurden. Sie bestehen aus besonders korrosionsempfindlichem Kaliumsilicatglas und werden – ähnlich den anderen Sammelmedien – über längere Zeiträume der Umgebungsluft ausgesetzt. Hierbei entsteht Korrosion am Glas, die je nach Konzentrationsgefälle in unterschiedlicher Reaktionsgeschwindigkeit sichtbar wird. Am ISC werden die Sensoren optisch und messtechnisch ausgewertet, u.a. ermöglichen auf den Glasflächen angelagerte Salze den Rückschluss auf die verursachenden Schadstoffgruppen. Zudem lässt sich durch Infrarotspektroskopie die korrosionsbedingte strukturelle Veränderung des Glases quantifizieren.
Letztlich können auch Metallindikatoren als passive Probensammler betrachtet werden. Hierbei kommen Silber- und Kupferstreifen (Corrosion Classification Coupons) zur Anwendung, die für 30 bis 90 Tage im Raum, in der Vitrine oder in der Verpackung ausgelegt werden. Die erfolgte Korrosionsentwicklung wird in Art und Stärke analysiert und mit der Expositionsdauer sowie standardisierten Korrosionsraten korreliert. Die Auswertung erfolgt auf Basis eines definierten Systems bzw. ISO-Standards, der die Korrosivität der untersuchten Luft in vier Stufen von mild bis schwerwiegend kategorisiert. Mit den Metallindikatoren lassen sich insbesondere Schwefelverbindungen und Aldehyde nachweisen, sie liefern jedoch keine spezifischen Verbindungsnachweise oder Konzentrationen.
Qualitativ-chemischer Nachweis und Spottest
Neben dem Einsatz aktiver und passiver Probensammler ist die Bestimmung von Schadstoffen über die Durchführung diverser qualitativ-chemischer Nachweise und Spottests möglich. Hierzu zählen unter anderem:
- Oddy-Test (Schwefelverbindungen, organische Säuren)
- Beilstein-Test (Chlorbestandteile)
- Azide-Test (Schwefelbestandteile)
- Iodid-Iodat-Test (organische Säuren)
Eine gute Übersicht und Beschreibung der zahlreichen Nachweisverfahren findet sich bei Hatchfield 2002 sowie in gekürzter Version im WAAC Newsletter, Volume 26/2, 2004 (siehe Wissenspool Schadstoffe). Die beiden bekanntesten Verfahren, der Oddy- und der Beilstein-Test, werden hier vorgestellt.
Konzentration von Stäuben
Um die Konzentration von Stäuben in der Raumluft und somit die Gefährdung von freistehenden Objekten in Ausstellungen bzw. von Sammlungsgut in offenen Regalsystemen zu bestimmen, werden z.B. portable Reflektometer eingesetzt. Diese bestimmen über den abnehmenden Glanzgrad von Oberflächen den Staubgehalt. Hierbei wirft das Gerät in einem Winkel von 60 bis 85° einen Lichtstrahl auf den Messbereich, erfasst die Reflexion und rechnet sie in Gloss Units (GU) um. Eine weitere Möglichkeit stellen Staubsammler dar, also kleine Gefäße, die über längere Zeiträume in Ausstellungen und Depots exponiert und anschließend zu Umfang und Zusammensetzung des Staubgehalts mikroskopisch ausgezählt werden.
Schadstoffe lassen sich in nahezu allen Bereichen der Museen, Archive und Bibliotheken nachweisen. Insbesondere in Depots und Magazinen, aber auch im Ausstellungsbereich können hohe Konzentrationen vorliegen. Daher werden analog zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz auch für den Kulturgutschutz notwendige Grenzwerte diskutiert. Das Stufenmodell nach Seifert weist für Büro- und Arbeitsräume eine Gesamtbelastung (TVOC-Wert) von 0,2 bis 0,3 mg/m³ als hygienisch unbedenklich aus. Bereits Werte, die zwischen 0,3 und 1 mg/m³ liegen, sollten nur vorübergehend und mit ausreichender Frischluftzufuhr akzeptiert sowie langfristig reduziert werden, während dauerhaft > 1 mg/m³ liegende Werte zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung führen und inakzeptabel sind. Eine vergleichbare Regelung für die Sammlungen der Museen und Bestände in Bibliotheken und Archiven steht weiterhin aus. Experten sind sich jedoch einig, dass die Grenzwerte für Kulturgut – da die Reaktivität deutlich sensibler ausfällt – unter Stufe 1 des Arbeitsschutzmodells liegen sollten.
Bis entsprechende Grenzwerte etabliert sind und weitere Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen von Schadstoffbelastungen auf Kulturgut vorliegen, sollten Museen, Archive und Bibliothek das Risikopotenzial von Schadstoffen durch präventive Strategien kontrollieren. Dies umfasst Maßnahmen der Vermeidung, der Analytik und Nachweise, der Absperrung sowie der Reduzierung und Behandlung (Beseitigung) möglicher Schadstoffquellen. Priorität sollte die Vermeidung, Reduzierung und Behandlung haben, um Schäden zu verhindern, wobei die Untersuchung der Ursachen den jeweiligen Ausgangspunkt aller Maßnahmen darstellt.
Vermeidung von Schadstoffen
Externe Schadstoffe und Stäube
Der Eintrag externer Schadstoffe und Stäube kann auf Makroebene durch folgende Maßnahmen vermieden werden:
- Auswahl geeigneter, gering emissionsbelasteter Standorte für Depots und Magazine
- Schließen und Versiegeln aller ungenutzten und nicht notwendigen Gebäudeöffnungen
- Abdichten von Fugen und Undichtigkeiten an Gebäuden/Gebäudeöffnungen
- Einbau mehrstufiger Türsysteme im Eingangsbereich
- Einsatz entsprechender Filter für Klima- und Belüftungsanlagen
Das Prinzip der Vermeidung gilt gleichermaßen für die Mikroebene und zielt darauf, den Kontakt der Sammlung mit Schadstoffen und Stäuben so gering wie möglich zu halten. Um den Eintrag externer Schadstoffe zu minimieren, sollten Glasstürze, Vitrinen und Rahmen ebenso wie Lagermedien und Verpackungen luftdicht abschließen. Dies setzt voraus, dass sämtliche verwendeten Materialien inert sind, d.h. keiner chemischen Zersetzung unterliegen.
Interne Schadstoffbelastung
Für die Vermeidung interner Schadstoffbelastungen aus Bau- und Konstruktionsmaterialien ist die sorgfältige Untersuchung und Auswahl emissionsarmer, langzeitstabiler Materialien essenziell. Jeder im Ausstellungs- und Lagerungsbereich genutzte Werkstoff muss vor dem Einsatz geprüft werden. Gleiches gilt für die zur Restaurierung verwendeten Produkte und Chemikalien, die hinsichtlich ihrer Langzeitstabilität, vor allem jedoch bezüglich möglicher Interaktionen mit Objektmaterialien ausgewählt werden sollten.
Die folgende Zusammenstellung führt eine Reihe von Werkstoffen auf, die als unbedenklich für die Lagerung und Präsentation von Kulturgut gelten.
- Metall (einbrennlackiert, pulverbeschichtet)
- Keramik- und Steinsockel, mineralischer Acrylstein (Corian®)
- Glas und Acrylglas (Plexiglas®)
- Papiere und Kartonagen (säurefrei, gepuffert)
- Textilien aus Baumwolle (farblos, ungebleicht und gewaschen) und PE-Vlies (Tyvek®)
- PE-Schaumstoffe (Ethafoam®, Plastazote®)
- PE/PP-Steg- und Hohlkammerplatten
- PE-Folien, PE-Druckverschlussbeutel und PE-Boxen
- Aluverbundfolie (Marvelseal® 360)
Weiterhin können folgende Materialien für kurze Zeiträume (Sonderausstellungen) und sofern sie nicht in direktem Kontakt zum Objekt stehen für die Präsentation von Kulturgut verwendet werden:
- Polyester- bzw. PET-Folien (Mylar, Melinex)
- Klettverschlüsse und Doppelklebebänder (3M, verschiedene Typen)
- Nylonsehne, ohne direkten Kontakt zum Objekt
- Acrylfarben, ohne direkten Kontakt zum Objekt
Auch die Verwendung von Kleb- und Dichtstoffen sollte nur eingeschränkt und nach Berücksichtigung entsprechender Abbindezeiten erfolgen. Für die Herstellung von Verbindungen bieten sich gelöste Acrylate bzw. in Wasser dispergierte Bindemittel sowie klare Schmelzklebstoffe (PVA) an.
Ist eine Vermeidung von Schadstoffeinträgen nicht möglich, gilt es, den flüchtigen Verbindungen durch Reduzierung und Behandlung zu begegnen. Für freibewittertes, ausgesetztes Kulturgut stellen regelmäßige reinigende Maßnahmen oftmals die einzige Option dar, sie vor den Auswirkungen von Umweltbelastungen zu schützen. Grundsätzlich sollte bei einer vorliegenden Schadstoffbelastung im Depot und Magazin (Lagermedien, Verpackungen) sowie im Ausstellungsbereich (Vitrinen, Rahmen, Montagen) immer eine Beseitigung der Ursachen angestrebt werden. Optionen der Reduzierung umfassen zumeist den Einsatz von Hilfsmitteln und Verbrauchsmaterialien, die in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden müssen. Hierbei werden personelle und monetäre Kapazitäten unnötigerweise belastet. Dennoch stellt die Reduzierung von Schadstoffen, insbesondere an Altbeständen der Lager- und Verpackungslösungen, oftmals die einzig mögliche Option dar:
- Einsatz von Barrieren
- Versiegeln von Oberflächen
- Einsatz von Sorbentien und Absorbern
- Ändern der Luftzusammensetzung; Einsatz von Stickstoff
- Einsatz von Luftreinigern und technischen Filteranlagen
- Regelmäßiges Lüften von Vitrinen oder Lagermedien
- Umlagern und Rotieren der Exponate
Es ist wichtig zu verstehen, dass reduzierenden Maßnahmen immer nur um eine temporäre Zwischenlösung darstellen. Daher gilt es, in diesem Zeitraum alle weiteren einflussnehmenden Parameter, insbesondere jedoch die Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit, möglichst schwankungsarm und in einem für die jeweilige Objektgattung adäquaten Bereich zu halten.
Abschließend soll auf das hohe Schädigungspotenzial und somit die fehlende Eignung des Werkstoffs Holz, der aufgrund seiner guten Verarbeitbarkeit und Wirtschaftlichkeit bevorzugt im Ausstellungsbereich zum Einsatz gelangt, erneut hingewiesen werden. In Abhängigkeit der Baumart geben Hölzer unterschiedlich hohe Mengen an organischen Säuren ab. Diese erzeugen, wie eingangs dargelegt, zahlreiche Schädigungen an fast allen Sammlungsgütern und archivalischen Beständen. Aus diesem Grund sollten Museen, Archive und Bibliotheken auf den Einsatz von Holz im Zuge von Neuinstallationen und -einrichtungen konsequent verzichten und bestehende Ausstattungen zeitnah gegen Materialien mit geprüfter Museums- und Archivqualität auswechseln.
Alexandra Jeberien und Matthias Knaut
Fotos: Alexandra Jeberien