14 Gewalttaten
Flashmobs, Hooligans und Terroristen stellen Kultureinrichtungen vor Herausforderungen, auf die sie selten vorbereitet sind. Über soziale Medien lassen sich Krawalle oder Ausschreitungen leicht und schnell organisieren. Solche Störungen der öffentlichen Ordnung können Kulturgut direkt schädigen, noch gefährlicher sind jedoch die indirekten Folgen, wenn z.B. Gebäude, technische Infrastruktur oder Kommunikationssysteme beschädigt werden oder ausfallen.
Seit dem Ende des Kalten Krieges haben sich neue Konfliktformen entwickelt, bei denen die Grenzen zwischen Krieg und Frieden unscharf werden: asymmetrische Kriege (souveräne Staaten treffen auf nichtstaatliche Akteure) und hybride Bedrohungen (Grenzen zwischen Krieg und Frieden werden verwischt und die Rolle eines Angreifers bzw. einer Konfliktpartei verschleiert). Dazu kommt der international agierende Terrorismus, der sich vorwiegend „weiche“ und symbolische Anschlagsziele sucht, zu denen auch das Kulturgut und die es bewahrenden Einrichtungen gehören.
Auf drei grundlegende Bedrohungen müssen sich Museen, Archive und Bibliotheken einstellen:
- Störung der öffentlichen Ordnung: Begleiterscheinungen von außer Kontrolle geratenen Großveranstaltungen oder Demonstrationen, Krawalle, Anarchie
- Bewaffnete Konflikte: Krieg, asymmetrischer Krieg, hybride Kriegsführung und Bürgerkrieg
- Terror: Bombendrohungen und gezielte Anschläge
Bei derartigen Extremsituationen helfen Risikovorsorge und Notfallplanung, Gefahren abzuwehren und Schäden zu minimieren – insbesondere, wenn dies in ein umfassendes Notfallkonzept integriert ist.
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde auch in Museen, Archiven und Bibliotheken oftmals auf vorhandene Schutzvorkehrungen verzichtet und diese als „Friedensdividende” eingespart.
Durch die Kriege im ehemaligen Jugoslawien wurde dieses Grundgefühl der Sicherheit vor kriegerischen Bedrohungen in Europa erstmals wieder erschüttert. Die Bundesregierung sieht inzwischen eine „neue Relevanz der Landes- und Bündnisverteidigung” (Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr 2016, S. 139). Als Reaktion auf diese Entwicklungen wurde auch „Blue Shield“ als nichtstaatliche internationale Dachorganisation für Kulturgutschutz von Archiven, Bibliotheken, Denkmalpflege und Museen gegründet.
Eine zunehmende Bedrohung symbolischer Anschlagsziele stellt der internationale Terrorismus dar. Seit einigen Jahren sorgt der radikale Salafismus und speziell das Umfeld des „Islamischen Staates”, aber auch beispielsweise der Links- und Rechtsterrorismus für Aufmerksamkeit bei den Behörden. Die Gefahr von Terroranschlägen hat sich erhöht durch verdeckt eingereiste Kämpfer sowie durch Anhänger, die in ihre europäischen Herkunftsländer zurückgekehrt sind. Dabei ist nicht nur mit organisierten Terrorzellen zu rechnen, sondern auch mit Einzelpersonen, die sich über das Internet radikalisiert haben.
Eine Neubewertung erfordern auch die Gefahren für Kultureinrichtungen im Fall von Störungen der öffentlichen Ordnung durch heftige soziale Proteste, nach den Sturz autokratischer Regime oder nach Naturkatastrophen. Auch in Deutschland wird Gewaltbereitschaft beobachtet: Neben der Hooliganszene gibt es weitere gesellschaftliche Phänomene, wie Flashmobs, „Jugendrandale“ und Krawalltourismus, bei denen es zu Plünderung, Zerstörung und Konfrontation mit den Sicherheitskräften kommt.
Die konkrete Bedrohung des Kulturguts resultiert aus:
- gezielter Zerstörung oder Entwendung
- billigender Zerstörung oder Beschädigung („Kollateralschaden“)
- unbeabsichtigter oder irrtümlicher Zerstörung
- Anarchie (z.B. Diebstahl, Raubgrabungen)
- Ausfall wichtiger baulicher und technischer Infrastruktur
Diese Risiken werden von vielerlei Faktoren wie der innen- und außenpolitischen Situation beeinflusst. Doch eine Kultureinrichtung kann auch selbst einen Anlass bieten, z.B. durch eine Ausstellung oder Veranstaltung zu einem umstrittenen Thema. In einem sensiblen Umfeld müssen also auch die Folgen einer eventuellen Provokation realistisch eingeschätzt werden.
Wohldurchdachte Vorsorge und Notfallplanung bieten auch gegen solche extern und intern bedingten Risiken Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr und zur Schadensminimierung. Als Grundlage für die Risikobewertung empfiehlt es sich, solche Extremsituationen in einem kleinen Team gedanklich durchzuspielen. So werden erste Einschätzungen zur spezifischen Gefährdungssituation gewonnen und mögliche Schwachpunkte identifiziert. Auf dieser Basis lassen sich Entscheidungen zum weiteren Vorgehen und zu den Prioritäten treffen.
Die frühzeitige Einbindung externer Spezialisten sowohl zur Gefährdungsanalyse als auch zur Notfallplanung ist sehr zu empfehlen. Bei Terror und der Gefährdung der öffentlichen Ordnung sind die Landeskriminalämter die ersten Ansprechpartner. In Bezug auf bewaffnete Konflikte können militärische Stellen der Bundeswehr zurate gezogen werden. Dies ist in der Regel das regional zuständige „Landeskommando“, die „zentrale Kommandobehörde der territorialen Wehrorganisation der Bundeswehr“. Es ist in der jeweiligen Landeshauptstadt stationiert und auch für „zivil-militärische Zusammenarbeit“ zuständig. Sollte am Standort der Kultureinrichtung eine andere militärische Einrichtung der Bundeswehr bestehen, kann auch diese für einen ersten Kontakt genutzt werden.
Jede Einrichtung sollte über einen Notfallplan verfügen, der alle Bedrohungen und ihre Folgen einbezieht. Störung der öffentlichen Ordnung, Terror und Krieg bedürfen zwar einer spezifischen Risikobetrachtung, aber bezüglich der Maßnahmen zur Prävention und zum Notfallmanagement gibt es viele Überschneidungen zu anderen Risiken für Kultureinrichtungen. Bei selten auftretenden und sehr speziellen Gefährdungen ist es entscheidend, dass auf die solide Basis eines allgemeinen Notfallmanagements zurückgegriffen werden kann. Im Zusammenhang mit Gewalttaten sind zusätzlich besonders die Gefährdungen Vandalismus, Brand und Havarien/Unfälle sowie Gebäudeversagen (siehe Kapitel Erdbeben) zu beachten (siehe entsprechende SiLK-Kapitel).
Störung der öffentlichen Ordnung
Es gibt ganz unterschiedliche Motive für eine Störung der öffentlichen Ordnung. Als Akteure kommen in- und ausländische Extremisten und Fundamentalisten infrage, aber auch autonome Gruppen, welche die Gesellschaftsordnung oder das staatliche Gewaltmonopol ablehnen und ein Recht auf Gewaltausübung für sich beanspruchen. Hinzu kommen Personen, für die Randale „Abenteuer“ oder „Freizeitvergnügen“ bedeuten (z.B. Fußballhooligans, „Krawalltouristen“).
Die Risikogruppe der Gewaltbereiten bekundet ihre Ablehnung in Demonstrationen, Aufmärschen oder auch Spontanaktionen. Sie ist meist gut organisiert, über moderne Kommunikationsmittel vernetzt und damit in der Lage, rasch Sympathisanten und Mitläufer zu aktivieren. Ihre Aktivitäten münden häufig in „politisch motivierter Kriminalität“ (z.B. Körperverletzung, Brandstiftung, Landfriedensbruch, Raub, Widerstandsdelikte) oder „Allgemeinkriminalität“ wie Sachbeschädigung, Nötigung/Bedrohung oder Propagandadelikte. Solche Gewalttaten werden entweder gezielt begangen, entwickeln sich aus Demonstrationen/Gegendemonstrationen/Aufmärschen heraus oder entstehen im Zuge öffentlicher Veranstaltungen.
Grundsätzlich können aber auch ganz andere Ereignisse oder Veranstaltungen Anlass für Krawalle, Tumulte oder Randale bieten, z.B. die Ausstellung eines umstrittenen Künstlers oder die Veranstaltung zu einem umstrittenen Thema. Kultureinrichtungen oder dort angesiedelte Projekte können somit durchaus direktes Ziel gewalttätiger Aktionen werden. Andererseits ist auch denkbar, dass Störer beispielsweise in eine Kultureinrichtung flüchten, um sich Angriffen gegnerischer Gruppen oder einem polizeilichen Zugriff zu entziehen. Neben politisch o.ä. motivierten Tätern muss eine Kultureinrichtung auch das Risiko bedenken, dass Menschenmassen außer Kontrolle geraten können, z.B. bei einer Open-Air-Veranstaltung oder wegen einer schlechten Logistik bei Events (z.B. Tag der offenen Tür, Museumsnacht). Flashmobs und gefälschte öffentliche Einladungen über Internet-Netzwerke bergen ein zusätzliches Gefahrenpotenzial.
Risikovorsorge gegen Störungen der öffentlichen Ordnung
Dieses Risikopotenzial sollte von Kultureinrichtungen in ihre Sicherheitsvorsorge einbezogen werden. Dabei sind gute Verbindungen zu den Genehmigungsbehörden für Demonstrationen und ähnliche Veranstaltungen hilfreich. Auf diese Weise ist die Einrichtung aktuell über Anträge von Risikogruppen und die Entscheidungen der Behörden informiert. Gegebenenfalls können dort auch Vorbehalte gegen Genehmigungen angemeldet werden. Gegen Ausschreitungen ist der regelmäßige Dialog mit der örtlich zuständigen Polizeibehörde eine unabdingbare Präventionsmaßnahme. Dieser Kontakt unterstützt eine sachgerechte Risikoanalyse durch Bewertung der möglichen Gewaltbereitschaft der Antragsteller und kann möglicherweise eine als notwendig erachtete Personalabstellung vorbereiten.
Wird ein erhöhtes oder gar hohes Risiko festgestellt, gilt es, die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Das kann z.B. eine Verschärfung der Zugangskontrollen, eine Personalverstärkung durch Einsatz eines Sicherheitsdienstes, eine vorübergehende Schließung der Einrichtung oder gar den Verzicht auf ein geplantes Vorhaben (Ausstellung, Veranstaltung) bedeuten. Unter Umständen kann auch ein Antrag auf polizeiliche Unterstützung geboten sein, z.B. durch verstärkte Präsenz im Nahbereich der Einrichtung oder gar Personalabstellung innerhalb der Einrichtung. Auf jeden Fall sollten gemeinsam mit Experten verschiedene Szenarien und angemessene Reaktionen durchdacht und erörtert werden, um bei Gewaltaktionen mit einem abgestuften Maßnahmenkatalog reagieren zu können.
Kommt es trotz Vorsorge zu Gewaltaktionen gegen die Einrichtung, das Kulturgut oder Personal und Besucher, kann durch Deeskalationsmaßnahmen, Absperrung bzw. Verschluss nicht betroffener Bereiche sowie Alarmierung der Polizei oder anderer Sicherheitskräfte versucht werden, die Lage wieder zu beruhigen bzw. die Störer/Gewalttäter an weiteren Aktionen zu hindern. Eine Dokumentation des Tathergangs und -ortes ist für die spätere Strafverfolgung sehr wichtig.
Terror
Es gibt keine allgemein anerkannte Definition für Terrorismus, da dessen Formen, Motive und Hintergründe sehr verschieden sind. Was von einer Seite als Terror eingestuft wird, kann von der Gegenseite als Aktion eines legitimen Befreiungskampfes verstanden werden.
Terroristen geht es in erster Linie darum, die zivile Ordnung des Staates und der Gesellschaft anzugreifen, zu erschüttern oder zu zerstören. Dies wird auf spektakuläre Weise versucht zu erreichen, indem „Ikonen“ der Politik und Wirtschaft, z.B. Gebäude, Symbole oder Personen, angegriffen werden. Mittelfristig mindestens ebenso effektiv ist es, die inneren Werte der Gesellschaft, z.B. die kulturellen Einrichtungen, zu attackieren.
Kulturgüter sind daher den sogenannten „Kritischen Infrastrukturen“ zugeordnet. In der „Nationalen Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie)“ des Bundesministeriums des Innern wird dazu ausgeführt: „Eine symbolische Kritikalität kann eine Infrastruktur dann besitzen, wenn aufgrund deren kulturellen oder Identität stiftenden Bedeutung ihre Zerstörung eine Gesellschaft emotional erschüttern und psychologisch nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen kann.“ (Ziffer 3, KRITIS-Strategie). Dabei geht es nicht nur um eine spektakuläre Totalzerstörung einer Kultureinrichtung, sondern auch um Raub oder „Entehrung“ eines symbolträchtigen Einzelobjekts durch Zerstörung oder Beschädigung.
Anlässe für einen Terrorakt können sein:
- die Ablehnung der Staatsordnung oder des Gesellschaftssystems
- die Ablehnung eines konkreten politischen Handelns (z.B. Einsatz der Bundeswehr im Ausland)
- die Ablehnung eines gesellschaftlichen Verhaltens, das mit eigenen Überzeugungen nicht im Einklang steht (z.B. Umgang mit Homosexualität), eine konkrete Ausstellung oder Veranstaltung, durch die sich jemand in seinen Gefühlen verletzt fühlt
- eine Ausstellung oder Veranstaltung, die mit einem politischen, religiösen oder gesellschaftlichen Gegner in Zusammenhang gebracht wird
Risikovorsorge gegen Terror
Auf eine Bombendrohung kann man sich noch am ehesten gezielt vorbereiten: durch Konsultation von Experten, Erarbeitung einer Handlungsanweisung und durch Mitarbeiterschulung. Terroristischen Aktionen gegen Kulturgut wirksam vorzubeugen, ist jedoch für das Personal einer Kultureinrichtung äußerst schwierig, da der Angreifer Ort, Zeit und Form seiner Aktion bestimmt. Im Notfallplan kann es daher weniger darum gehen, einen Terrorakt zu verhindern, sondern möglichst wirksame Erst-/Sofortmaßnahmen zu ergreifen. Ein enger und regelmäßiger Informationsaustausch mit den örtlichen Sicherheitsorganen gehört zu den erforderlichen Maßnahmen. Periodische und fallbezogene Gesprächskreise sind notwendig, um Erkenntnisse auszutauschen und Vorhaben frühzeitig auch auf ihre mögliche terroristische Relevanz zu prüfen und zu bewerten. Wird ein erhöhtes oder gar hohes Risiko festgestellt, gilt es, die erforderlichen Folgerungen daraus zu ziehen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Das kann z.B. eine Verschärfung der Zugangskontrollen, eine vorübergehende Schließung der Einrichtung oder gar den Verzicht auf ein geplantes Vorhaben bedeuten.
Terror-Abwehrstrategie 1: Terrorgruppen analysieren
Wer sind die Terroristen? Was sind Ihre Motive und Ziele?
- inländisch/ausländisch
- politisch/ethnisch/religiös
- global/national/separatistisch/Anti-Minderheiten
- Revolution/Krieg/Vernichtung
Zumeist haben Terrorgruppen eine „Handschrift“, sei es aus praktischen Umständen, sei es aus Absicht (z.B. wegen PR/Image, Identität/Konkurrenz oder Stolz/Ehre). Hierzu gehört meist auch die Vorliebe für bestimmte Ziele (z.B. Personen oder Objekte, VIP oder jedermann, „harte“ oder „weiche“ Ziele). Diese „Handschrift“ ist einer der wichtigsten Ansatzpunkte für Terrorexperten, mit deren Hilfe eingeschätzt werden kann, ob und in welcher Weise sich das jeweilige Kulturgut im Visier einer Terroristengruppe befindet.
Terror-Abwehrstrategie 2: Zielobjekt reflektieren
Es gibt drei unterschiedliche Bedrohungen, die spezifische Vorsorgemaßnahmen erfordern:
- Der direkte Angriff auf ein Kulturgut (Gebäude/Anlagen/Sammlungsgut)
Vorsorge: Risikobewertung aus Sicht einer Terrorgruppe
- Die Folgen eines gezielten Angriffs in der Umgebung
Vorsorge: Information von örtlichen Sicherheitskräften über die lokale Bedrohungslage, Vorsorgemaßnahmen und Einsatzstrategien einholen; dann Konsequenzen für das eigene Krisenmanagement ziehen
- Die Folgen eines Angriffs auf die Infrastruktur des Orts/der Region
Vorsorge: Vorkehrungen laut Notfallplan erforderlich
Terror-Abwehrstrategie 3: Sich auf spezifische Gefährdungstechniken vorbereiten
Die spezifischen Angriffsmuster der Terroristen sind:
- versteckte Bomben (mit Fernzündung oder Auslöser)
- Autobomben (in stehenden Fahrzeugen oder in ein Gebäude rasend)
- Bombendrohung
- Anschläge mit biologischen/chemischen Waffen
- Selbstmordattentäter
- Verschleppung, Geiselnahme, Entführung
Kultureinrichtungen haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, sich mit dauerhaften Maßnahmen hinreichend vor diesen spezifischen Bedrohungen zu schützen. Zu nennen sind lediglich die bewährten Sicherheitsmaßnahmen der Wachsamkeit und Kriminalitätserschwerung, wie Kontrollrundgänge am Ende der Öffnungszeit, Garderobenzwang (Mantel, Taschen u.a.), Achten auf herrenloses Gepäck, Schließfachkontrollen (z.B. Sichtfenster) und Videoüberwachung.
Die aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen, die Botschaften, Banken oder Flughäfen anwenden, wie Detektoren, Personenkontrollen, Sicherheitszonen und -schleusen und bewaffnetes Wachpersonal, kommen für Kultureinrichtungen nur in Ausnahmefällen in Betracht. Sie sind teuer und bautechnisch in Altbauten kaum zu realisieren. Außerdem beeinträchtigen solche Maßnahmen das Wohlgefühl der Besucherinnen und Besucher. Für die einfachen wie für die aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen gilt gleichermaßen: Sie wollen primär vor anderen Gefahren schützen und sind Teil eines übergreifenden Sicherheitskonzepts, dennoch entfalten sie ihre Schutzwirkung auch gegen Terroristen.
Terror-Abwehrstrategie 4: Integriertes Sicherheitskonzept
Die Grenzen zwischen Terrorismus und anderen extremen Gefährdungen sind sehr unscharf. Mega-Havarien (z.B. Flugzeugabsturz, Bruch von Hochwasserdämmen oder Staumauern) oder Infrastrukturausfall (z.B. Sabotage des Stromnetzes oder Internet-Blockade) können auch von Terroristen herbeigeführt werden. Wer sich vor Terrorismus schützen will, braucht daher ein integriertes Sicherheitskonzept, das die situationsunabhängigen Aspekte und Maßnahmen mit der Spezifik der verschiedenen Bedrohungsszenarien verknüpft.
Bewaffnete Konflikte – „Neue Kriege“
Bewaffnete Konflikte gehören zu den größten Gefahren für Kulturgut jeglicher Art. Der Zerfall Jugoslawiens und die Krise in der Ukraine zeigen die Rückkehr „klassischer“ Machtpolitik auch unter Einsatz militärischer Mittel. Ein anderes Merkmal der klassischen Machtpolitik ist die „hybride Kriegsführung“, bei der die Grenzen zwischen Krieg und Frieden verwischt werden und die Rolle eines Angreifers bzw. einer Konfliktpartei verschleiert wird.
Andere Merkmale „neuer Kriege” sind „Entstaatlichung“ durch die Privatisierung kriegerischer Gewalt z.B. durch die Beteiligung von „Kriegsunternehmern”, Söldnerfirmen oder „Warlords“ oder auch das Phänomen der Ungleichheit der Kriegsparteien, wenn z.B. souveräne Staaten in einem Krieg auf nichtstaatliche Akteure treffen. Dabei ergeben sich Asymmetrien in Ausrüstung und Befähigung zu komplexen militärischen Operationen („asymmetrischer Krieg”). Es gibt keine Fronten, es kommt kaum zu größeren Gefechten und zur Abnutzung der militärischen Kräfte. Stattdessen richtet sich die Gewalt vorrangig gegen die Zivilbevölkerung. Ein weiteres Merkmal solcher Kriege ist die Verselbstständigung militärischer Gewalt, wenn reguläre Streitkräfte zunehmend in die Defensive geraten. Die scheinbar schwächere Konfliktpartei übernimmt die Initiative, während der staatliche Akteur die Kontrolle über das Geschehen verliert. Aber auch nichtstaatliche Konfliktparteien müssen ihre Kämpfer versorgen, ausrüsten und entlohnen. Dazu bedient man sich häufig illegaler Aktivitäten wie Drogenhandel, Menschenhandel, Erpressung von Schutzgeld oder Piraterie. Die Grenzen zwischen Kriegspartei und organisierter Kriminalität verschwimmen und die Akteure gewinnen die Erkenntnis, dass sich auf diesem Weg beachtlicher Reichtum ansammeln lässt. Der ursprüngliche Anlass des Konflikts tritt in den Hintergrund und die Bekämpfung des militärischen Feindes wird zur Nebensache. Der militärische Konflikt hat sich verselbstständigt und das Interesse an einem militärischen Sieg schwindet, um den eigenen Reichtum nicht zu gefährden.
Nichtstaatliche Konfliktparteien unterstellen sich nicht dem Völkerrecht und nehmen damit auch keine Rücksicht auf den Schutz von Kulturgut. Es wird vielmehr ebenfalls zur Finanzierung des Krieges genutzt. Bei Kämpfen, die auch oder sogar vorrangig gegen die kulturelle Identität des Gegners gerichtet sind, kann die Gefährdung von Kulturgut zur primären Absicht werden. In allen anderen bewaffneten Konflikten erfolgt die Gefährdung als nicht beabsichtigte „Begleiterscheinung“ (Kollateralschaden).
Begleitrisiken in einem bewaffneten Konflikt sind Diebstähle, die sowohl von einer Konfliktpartei veranlasst werden können („Beutekunst“) als auch durch Einzelpersonen/Gruppen erfolgen können („Kriegssouvenir“). Weitere Begleiterscheinungen sind Raubgrabungen, deren Funde oft über den illegalen Handel mit Kulturgut zur Finanzierung der Konflikte beitragen, Zerstörung von Kulturgut bei Gefechten/Angriffen, Verwahrlosung durch fehlende Infrastruktur und/oder Personal, Diebstahl infolge von Armut/Not.
Risikovorsorge gegen bewaffnete Konflikte
Die gegenwärtige politische Situation in Europa lässt einen „herkömmlichen“ Krieg, der Deutschland bedroht, eher unwahrscheinlich erscheinen. Auch andere Formen eines bewaffneten Konflikts scheinen in der überschaubaren Zukunft nicht naheliegend, sie sollten aber dennoch bei der Risikoanalyse nicht ausgeblendet werden. Vorbeugende Maßnahmen für bewaffnete Konflikte sollten sich mit folgenden Themengebieten beschäftigen:
- Die Haager „Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten“ mit ihren beiden Zusatzprotokollen
- Bewertung der gegen andere Risiken vorbereiteten oder getroffenen Maßnahmen hinsichtlich ihrer Eignung auch im Falle eines bewaffneten Konflikts
- Überlegungen zu ergänzenden Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit des Kulturguts im Fall eines bewaffneten Konflikts
Ausfall wichtiger bautechnischer Infrastruktur
Die indirekten Folgen einer Katastrophe, insbesondere der Ausfall technischer Einrichtungen und Kommunikationssysteme, wirken sich häufig stärker aus als die direkten Konsequenzen. Dies gilt für flächendeckende Naturkatastrophen (Hochwasser, Erdbeben) ebenso wie für Krieg, Terrorakte und Störung der öffentlichen Ordnung. Der Ausfall der Infrastruktur kann hierbei viel länger dauern und ist räumlich ausgedehnter als beispielsweise nach einer Havarie.
Das Beispiel der Überschwemmungen in New Orleans 2005 zeigt, dass Museen auch in hochindustrialisierten und reichen Staaten nach einer Katastrophe keineswegs sicher sind. Der Hurrikan Katrina hat an den Museen zwar nur geringfügige direkte Schäden durch Orkan oder Hochwasser verursacht, doch in der Folgezeit nahm der Ausfall der Infrastruktur und die Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung ein bedrohliches Ausmaß an:
- Zugangsverbot und -behinderung für eigenes Personal und für lebensnotwendige Lieferungen
- Technikausfall (Strom, Telefon, Mobiltelefon, Internet)
- Notstromaggregate waren nicht auf Dauerbetrieb ausgelegt (zu geringe Leistungskapazität und Treibstoffbevorratung)
- Polizei und Feuerwehr waren mit der Rettung von Menschenleben und dem Schutz der vitalen Infrastruktur voll ausgelastet
- heftiger Ausbruch von Kriminalität und Anarchie
Risikovorsorge gegen Ausfall der bautechnischen Infrastruktur
Die infolge einer Katastrophe auftretenden Betriebsstörungen stellen eine große Gefahr für Kulturgut dar. Daher ist es sehr hilfreich, intern in einem Team mehrere eskalierende und kumulierende Szenarien durchzuspielen. Nehmen Sie an, Ihre Einrichtung sei:
- ohne Telefonanlage/Fax
- ohne Verbindung zum Telefonfestnetz
- ohne mobile Telefonverbindung
- ohne Internetverbindung
- ohne Computer
- ohne Heizung
- ohne Klimaanlage
- ohne externe Stromversorgung
- ohne Notstromaggregat
- von der Umgebung abgeschnitten (Gebäude/Viertel/Stadt/Region)
Sie sollten sich für jedes Szenario einer Betriebsstörung fragen:
- Wie und wie rasch werden Sie auf die Gefahr aufmerksam?
- Welche Risiken entstehen für Menschen/Kulturgut/Gebäude/Einrichtung/Infrastruktur?
- Mit welchen sofortigen Gegenmaßnahmen kann man das Problem abmildern oder beheben?
- Welche Maßnahmen der Risikovorsorge sind erforderlich?